Eine Nacht auf dem Jeschken
Der Turm mit Hotel bei Liberec: Einst umstritten - heute ein Designdenkmal.
Draußen rauscht ein eisiger Spätwinterwind um den Gipfel: Es ist März, und wir haben uns eingemietet im Hotel auf dem Jeschken (Ještěd) nahe Liberec. Es sieht schon von außen futuristisch aus - und innen ist es ein echtes Designerstück!
Man fühlt sich wie in den Kulissen eines französischen Films der Spät-60er: Sessel, Betten, Lampen – alles im klaren, bauhaus-ähnlichen Stil. Die strenge, schlanke Form der Nachttischlampen aus glattem Metall. Die schrägen Wände mit ihren länglichen, unten abgerundeten Fenstern. Kämen jetzt plötzlich die junge Brigitte Bardot herein oder Alain Delon – würde es irgendwen wundern?
Der Weg auf den Berg
Wir haben uns für die Nebensaison entschieden. Im Sommer ist das halbe Dutzend Zimmer oft lange ausgebucht. Vom Bahnhof Liberec aus ging es mit der Straßenbahn 3 bis zur Endstation Horní Hanychov, am Fuße des Jeschken.
Aus der Ferne sah der Bau aus wie eine dicke Nadel, die sich der Berg aufgesetzt hat um größer zu wirken. Von der Straßenbahn aus stapften wir gut drei Kilometer steil bergauf über einen tief verschneiten, vereisten Pfad, der jedoch irgendwann aufhörte. Die blaue Wanderwegmarkierung entdeckten wir irgendwie nicht mehr. Man hätte auch per Auto auf den Gipfel gekonnt.
Nur die Kabinenseilbahn ist nach einem Unglück im Sommer 2021 noch nicht wieder in Betrieb (im April 2024 kam die Nachricht, dass die Liberecer sich für eine neue Seilbahn entschieden haben).
Schließlich standen wir vor dem Haus in 1012 Metern Höhe. Es wirkte kleiner als auf den Fotos – doch das täuschte, wie wir beim Eintreten sahen. Eine breite weiße Treppe führt hinauf zu den Zimmern, im Flur oben hängen plüschige Eierschalensessel von der Decke, in denen man herrlich herumschaukeln kann.
Zum Restaurant geht’s ebenfalls über eine breite, geschwungene Treppe. Vorbei an Glaskunstobjekten an der Wand, dem "Meteoritenregen" - sie schauen mit ihren halbkugelförmigen Scheiben fast aus wie von einem Eierschneider zerteilt. Im Restaurant sind es vor allem die formschönen Ballonlampen, die auffallen.
"Wie eine elternlose Mütze"
Ein Gesamtkunstwerk, ein einmaliges Designdenkmal - mitten in der Provinz, weit weg von Prag, eröffnet 1973. Damals hochmodern und heute noch immer schick. Wie es zu diesem extravaganten Bau kam?
Weil das alte Jeschken-Hotel abgebrannt war, wurde 1963 ein Architektur-Wettbewerb ausgerufen: Elf Modelle wurden den Liberecern vorgestellt, klassische Bergbauden-Entwürfe standen modernen Ansätzen gegenüber. Die Einwohner waren gespalten. Am Ende wurde die Idee des Architekten Karel Hubáček umgesetzt: Ein Bau, der die Form der Berghänge aufgreift und nach oben weiterführt. Der als Restaurant, Hotel und Sendestation für Funk und Fernsehen funktioniert.
„Der Siegerplan gehört auf den Mars“, „Der Ještěd ist doch nicht Brüssel“, „Wie eine elternlose Mütze“ – die Kritik riss nicht ab. Trotzdem wurde ab 1966 gebaut. Und drei Jahre später gewann Hubáček mit dem noch nicht mal fertiggestellten Jeschken-Bau den renommierten Perret-Preis der International Union of Architects.
Ein revolutionärer Bau - vom Design her und auch weil Hubáček neue Materialien verwendete, was der sozialistischen Elite damals nicht unbedingt schmeckte. Im Jahr 2006 wurde der knapp 100 Meter hohe Turm schließlich offiziell nationales Kulturerbe. Soviel zur „elternlosen Mütze“.
Im Restaurant sind die angebotenen Gerichte eher international, die so geliebten Knedlíky gibt es nicht auf der Karte. Es ist angenehm ruhig. Nur wenige Gäste sind an diesem kalten Märzwochenende hier, auch in die Bar nebenan verläuft sich an diesem Abend kaum jemand. Später, als ich im Bett liege, jault draußen auch kein Wind mehr. Andere Geräusche hört man hier auf dem Berg wahrscheinlich eh nicht. Perfekte Stille.
An klaren Tagen hat man vom Jeschken aus einen fantastischen Rundblick - doch uns verstellt am nächsten Morgen der Nebel jegliche Sicht. Wo da unten Liberec liegt, können wir nur ahnen.
In der Stadt gilt Karel Hubáček – der auch das Kulturhaus von Teplice entwarf sowie das Einkaufszentrum Ještěd in Liberec – mittlerweile als einer der bedeutendsten Bürger. In seinem Haus in der Alsová-Straße soll demnächst eine Ausstellung an ihn erinnern.
Anreise zum Jeschken: Mit dem Zug von Dresden nach Liberec Hlavní nádraží, dann mit Straßenbahn 3 bis zur Endstation Horní Hanychov und anschließend wandern; mittlerweile gibt es auch einen Bus, der Wanderer auf den Jeschken fährt.
Zur Geschichte des Turms auf dem Jeschken hat das Hotel eine interessante Broschüre herausgebracht: „Ještěd 11x jinak – Der Ještěd 11x anders“ (Architektonischer Wettbewerb für den Sender und das Berghotel auf dem Jested im Jahr 1963 in Texten und Dokumenten).